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Interview mit Prof. Horz: „Den Menschen nicht vergessen“

Dass sich das Lernen derzeit so rasant verändert wie nie zuvor, ist nahezu unstrittig. Was aber bedeutet die Digitalisierung für den Lernenden, für den Lehrenden und für die Gesellschaft. Über die Auswirkungen spricht Prof. Dr. Holger Horz, geschäftsführender Direktor der Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung, Leiter des Interdisziplinären Kollegs Hochschuldidaktik und der Arbeitsstelle Service Learning sowie Studiendekan des Fachbereichs Pädagogische Psychologie an der Goethe Universität Frankfurt.

Herr Prof. Horz, was sind die wichtigsten Auswirkungen für das Lernen, die aufgrund der Digitalisierung entstehen?

Zunächst einmal müssen wir uns klar machen, dass Lehren und Lernen schon seit mehr als 100 Jahren durch einen technologiegetriebenen Wandel gekennzeichnet sind. So ist es auch mit der Digitalisierung. Sie verändert die Lernlandschaft derzeit nachhaltig aber auch unsere Art des Denkens. Zu bedenken ist, dass auch in der absehbaren Zukunft die Geschwindigkeit der sozio-technischen Entwicklungen weiter zunehmen wird. Der technologische Fortschritt verstärkt den Trend, dass Menschen zunehmend individualisiert aus zeitlicher, räumlicher aber insbesondere didaktischer Sicht lernen. Zudem reicht heute nicht mehr eine einmalige Qualifikation durch Schule, Hochschule bzw. die berufliche Bildung für eine lebenslang erfolgreiche soziale Teilhabe, sondern eine lebenslange Weiterqualifikation („lifelong learning“) ist gefordert. Auch die Rolle der Lehrenden wird sich kontinuierlich weiter verändern. Lehrende agieren mehr und mehr als Gestalter individuell zunehmend adaptiver Lernsettings, Partner und Unterstützer in Selbstlernsituationen sowie Arrangeure (selbst-)diagnostischer Überprüfungsmöglichkeiten.

Wie sollten Bildungsanbieter darauf reagieren?

Wichtig bei all dieser Veränderung ist, dass wir den Menschen nicht vergessen. Innovationen verleiten oft dazu, sie ob der technischen Möglichkeiten einzusetzen, ohne dabei in erster Linie eine didaktische Zielsetzung zu verfolgen. Doch nicht alles passt auf jeden, nicht jeder hat zum Beispiel die Kompetenzen für das selbstbestimmte Lernen bereits in ausreichendem Maße erworben. Individuell adaptives Lernen ist nicht per se eine einfache und voraussetzungslose Lerngelegenheit, sondern mit einer Menge von Voraussetzungen verknüpft, die sich vor allem unter dem Begriff „Selbststeuerungsfähigkeit“ subsummieren lassen. Mit den Next Generation Digital Learning Environments (NGDLE) entstehen technologisch Möglichkeiten, individuell adaptive Lernmodule zu entwickeln. Dabei dürfen wir die lernbegleitenden sozialen Interaktionen aber nicht außer Acht lassen. Insbesondere durch den Austausch mit anderen Menschen kann die reale Anwendung erworbener Kompetenzen substanziell wahrscheinlicher gemacht werden und damit das eigene zukünftige Verhalten in gewünschter Weise verändern. Daher braucht es trotz aller technologischen Möglichkeiten Plattformen (etwa Präsenz-Trainings, Kollegengespräch etc.), auf denen ein solcher Austausch stattfinden kann.

Herr Prof. Horz, vielen Dank für das Gespräch.

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